Wie sich die Menschen in Gruppen zusammenrütteln können

Als Moderation von Workshops ist man nolens volens aufgefordert mit der Gruppendynamik in der Gruppe umzugehen bzw. diese so zu beeinflussen, dass die Arbeitsfähgeit der Gruppe hergestellt und aufrechterhalten wird. Hierzulande differenzieren sich Gruppen häufig in Positionen, die mit unterschiedlich viel Macht und Einflusschancen verbunden sind. Das Trivialkonzept der vertikalen Differenzierung ist die Hackordnung des Hühnerhofes. Dieses Modell allerdings hat mehr ideologischen Rechtfertigungswert als inhaltlichen Gehalt.

Ein interessantes und in der Praxis nützliches Konzept für die dynamische Verknüpfung von Positionen in Gruppen hat Raoul Schindler mit seiner „rangdynamischen Grundformel“ schon in den 50er Jahren entwickelt.

Nach diesem Modell differenzieren sich Gruppen in folgende Positionen:

Die rangdynamische Grundformel
  • Die Leitung, Initiator, Sprecherin (Alpha) ist Repräsentant der gemeinsamen Ziele, Gruppenbedürfnisse und Handlungen. Alpha ist legitimiert zu leiten, solange sie im Sinne der Ziele handelt und die Bedürfnisse der Gamma angemessen verwaltet. (Der gängige Begriff der „Alphatiere“ hat damit nur am Rande zu tun: Damit sind Menschen gemeint, denen der Machtanspruch als Persönlichkeitsattribut zugeschrieben wird)
  • Das Mitglied, die Mitstreiter (Gamma 1) macht die Sache des Leiters zu seiner eigenen, indem er sich mit diesem identifiziert.
  • Der Helfer, Nutznießer, Zuarbeiter (Gamma 2) unterstützt den Leiter und hilft ihm bei seinen Aktionen.
  • Der Normenhüter, Kontrolleur, Überwacher (Gamma 3) sorgt dafür, dass alles im Sinne der Gruppennormen abläuft.

Alpha und Gammas sind psychodynamisch eng miteinander verbunden: Alpha kann die bevorzugte Rolle nur so lange genießen, als er hinreichend zur Zielerreichung und Bedürfnisbefriedigung beiträgt. Kein Alpha ohne Gammas.

Alpha vertritt die Gruppe gegen äußere Gegner:

  • Gegenalpha: Dem von Alpha vertretenen Ziel stehen immer Hindernisse (z.B. die Steilheit des Berges, der bestiegen werden soll), manchmal auch Missstände gegenüber, die überwunden werden müssen – die andere Seite. Diese Gegenposition kann auch personifiziert und einem Gegenalpha zugeschrieben werden, der bekämpft werden muss. Der Gegenalpha repräsentiert den starken Gegner.
  • Der schwache Gegner (Omega) repräsentiert den Feind, das Andere, den Widerspruch im eigenen Lager. Der Omega wird oft ausgegrenzt, zum Sündenbock und Außenseiter gemacht. Die Omegas sitzen auf der Eselsbank, auf sie werden alle abgespaltenen negativen Emotionen, Ängste und ungelösten Widersprüche projiziert. Omegas widersetzen sich andererseits oft den Gruppennormen und verhalten sich abweichend.

Dem Alpha stehen aber auch kritisch-distanzierte Mitglieder zur Seite:

  • Der Beobachter, Experte, Berater (Beta 1) stimmt den Aktionen von Alpha mit Einschränkungen und kritischen Einwänden zu („ja, aber …“)
  •      Der Kritiker, Rezensent (Beta 2) gibt bedingtes Kontra („ich bin nur dafür, wenn …“)
  •      Der Schiedsrichter, Vermittler (Beta 3) schwankt zwischen den verschiedenen Positionen im „Einerseits – Andererseits“.

Betas zeichnen sich oft durch Kompetenz und Scharfblick aus und verfügen oft über die Fähigkeit (und den Willen) selbst die Alpha-Rolle oder auch die Gegen-Alpha-Rolle zu übernehmen. Sie können daher für den Alpha wichtige Verbündete, aber auch gefährliche Konkurrenten werden.

Diese Rollen und Positionen können im Prozessverlauf dynamisch verändert bzw. auch wechselnd von unterschiedlichen Personen übernommen werden. Diese wechselnden „Besetzungen“ hängen weitgehend davon ab, welche Ziele und Aufgaben die Gruppe sich stellt und welchen Beitrag die einzelnen Personen dazu leisten können und wollen.

Tipps für das Leiten von Gruppen, die sich aus dem rangdynamischen Modell ergeben:

  • Aktiv Führen. Trainerin/Moderation ist man am besten aus der Alpha-Rolle in Bezug auf den Prozess zur Erreichung des Zieles heraus (für Berater eignet sich am besten die Beta-Rolle).
  • Für klare Zielvereinbarungen sorgen (= den „Gegner“ kennen und benennen).
  • Die Bedürfnisse der Gammas wertschätzen und pflegen.
  • Betas anerkennen, nützen und begrenzen. Dauerauseinandersetzungen mit Betas schwächen die eigene Position.
  • Die Ausbildung von personifizierten Omegas verhindern: weder sollen Betas unterworfen, noch Gammas vorgeführt werden.
  • Kontakt und Austausch durch Rotation der Gruppenzusammensetzungen fördern
  • Für Variabilität in den Rollen sorgen, immer wieder neue Unterschiede einführen.
  • Kommunikation auf Augenhöhe
  • Omega-Rochade. Manchmal ist es die bessere Option sich vorübergehend gezielt in die scheinbar schwache Position zu begeben, anstatt sich in nutzlosen Kämpfen aufzureiben

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